war's in den giebeligen Gassen (der Giebel фронтон; островерхая двускатная крыша), und manchmal fiel eine Art von weichem Hagel, nicht Eis, nicht Schnee


Tonio Kröger saß im Norden und schrieb an Lisaweta Iwanowna, seine Freundin, wie er es ihr versprochen hatte



бет30/30
Дата24.02.2023
өлшемі1.09 Mb.
#470019
1   ...   22   23   24   25   26   27   28   29   30
Nemetskiy yazyk s Tomasom Mannom Tonio Kryoger (3)

1 Tonio Kröger saß im Norden und schrieb an Lisaweta Iwanowna, seine Freundin, wie er es ihr versprochen hatte.
2 «Liebe Lisaweta dort unten in Arkadien, wohin ich bald zurückkehren werde», schrieb er. «Hier ist nun also so etwas wie ein Brief, aber er wird Sie wohl enttäuschen, denn ich denke, ihn ein wenig allgemein zu halten. Nicht, dass ich so gar nichts zu erzählen, auf meine Weise nicht dies und das erlebt hätte. Zu Hause, in meiner Vaterstadt, wollte man mich sogar verhaften... aber davon sollen Sie mündlich hören. Ich habe jetzt manchmal Tage, an denen ich es vorziehe, auf gute Art etwas Allgemeines zu sagen, anstatt Geschichten zu erzählen.
3 Wissen Sie wohl noch, Lisaweta, dass Sie mich einmal einen Bürger, einen verirrten Bürgen nannten? Sie nannten mich so in einer Stunde, da ich Ihnen, verführt durch andere Geständnisse, die ich mir vorher hatte entschlüpfen lassen, meine Liebe zu dem gestand, was ich das ‘Leben’ nenne; und ich frage mich, ob Sie wohl wussten, wie sehr Sie damit die Wahrheit trafen, wie sehr mein Bürgertum und meine Liebe zum ‘Leben’ eins und dasselbe sind. Diese Reise hat mir Veranlassung gegeben, darüber nachzudenken...
4 Mein Vater, wissen Sie, war ein nordisches Temperament: betrachtsam, gründlich, korrekt aus Puritanismus und zur Wehmut geneigt; meine Mutter von unbestimmt exotischem Blut, schön, sinnlich, naiv, zugleich fahrlässig und leidenschaftlich und von einer impulsiven Liederlichkeit. Ganz ohne Zweifel war dies eine Mischung, die außerordentliche Möglichkeiten – und außerordentliche Gefahren in sich schloss. Was herauskam, war dies: ein Bürger, der sich in der Kunst verirrte, ein Bohemien mit Heimweh nach der guten Kinderstube, ein Künstler mit schlechtem Gewissen. Denn mein bürgerliches Gewissen ist es ja, was mich in allem Künstlertum, aller Außerordentlichkeit und allem Genie etwas tief Zweideutiges, tief Anrüchiges, tief Zweifelhaftes erblicken lässt, was mich mit dieser verliebten Schwäche für das Simple, Treuherzige und Angenehm-Normale, das Ungeniale und Anständige erfüllt.

1 Ich stehe zwischen zwei Welten, bin in keiner daheim und habe es infolgedessen ein wenig schwer (и мне поэтому приходится несколько трудно). Ihr Künstler nennt mich einen Bürger, und die Bürger sind versucht, mich zu verhaften... ich weiß nicht, was von beidem mich bitterer kränkt. Die Bürger sind dumm: ihr Anbeter (поклонники, обожатели; anbeten – поклоняться, боготворить) der Schönheit aber, die ihr mich phlegmatisch und ohne Sehnsucht heißt, solltet bedenken (принять во внимание), dass es ein Künstlertum gibt (что есть творчество: «художничество»), so tief, so von Anbeginn (/идущее/ настолько от истока, от начала) und Schicksals wegen (и связанное с судьбой: «ради судьбы, по судьбе»), dass keine Sehnsucht ihm süßer und empfindenswerter erscheint (что никакая тоска не кажется ему сладостнее и более стоящей того, чтобы ее чувствовать, испытывать) als die nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit (чем тоска по блаженствам, отрадам обычности, обыденности).


2 Ich bewundere die Stolzen und Kalten, die auf den Pfaden der großen, der dämonischen Schönheit abenteuern und den ‘Menschen’ verachten, – aber ich beneide sie nicht. Denn wenn irgend etwas imstande ist (в состоянии), aus einem Literaten einen Dichter zu machen, so ist es diese meine Bürgerliebe zum Menschlichen, Lebendigen und Gewöhnlichen. Alle Wärme, alle Güte, aller Humor kommt aus ihr, und fast will mir scheinen, als sei sie jene Liebe selbst, von der geschrieben steht, dass einer mit Menschen- und Engelszungen reden könnte und ohne sie doch nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle sei (о которой в Писании сказано, что человек может говорить языками человеческими и ангельскими, но без нее /любви/ голос его все равно будет лишь гудящей медью и кимвалом бряцающим; das Erz – руда; бронза, медь /поэт./; die Schelle – бубенчик, колокольчик).
3 Was ich getan habe, ist nichts, nicht viel, so gut wie nichts (почти ничего, почти ничто). Ich werde Besseres machen, Lisaweta, – dies ist ein Versprechen. Während ich schreibe, rauscht das Meer zu mir herauf, und ich schließe die Augen. Ich schaue in eine ungeborene und schemenhafte Welt hinein, die geordnet und gebildet sein will, ich sehe in ein Gewimmel (das Gewimmel – /движущаяся/ толпа, толкотня /разг./; wimmeln /von etwas/ – кишеть /чем-то/) von Schatten menschlicher Gestalten, die mir winken, dass ich sie banne (bannen – изгонять; die Geister bannen – изгонять здых духов; приковывать, очаровывать, пленять) und erlöse (erlösen – избавлять, спасать, выручать): tragische und lächerliche und solche, die beides zugleich sind, – und diesen bin ich sehr zugetan (jemandem zugetan sein – быть преданным кому-либо /высок. устар./). Aber meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen, Liebenswürdigen und Gewöhnlichen.
4 Schelten Sie diese Liebe nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit.»


1 Ich stehe zwischen zwei Welten, bin in keiner daheim und habe es infolgedessen ein wenig schwer. Ihr Künstler nennt mich einen Bürger, und die Bürger sind versucht, mich zu verhaften... ich weiß nicht, was von beidem mich bitterer kränkt. Die Bürger sind dumm: ihr Anbeter der Schönheit aber, die ihr mich phlegmatisch und ohne Sehnsucht heißt, solltet bedenken, dass es ein Künstlertum gibt, so tief, so von Anbeginn und Schicksals wegen, dass keine Sehnsucht ihm süßer und empfindenswerter erscheint als die nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit.
2 Ich bewundere die Stolzen und Kalten, die auf den Pfaden der großen, der dämonischen Schönheit abenteuern und den ‘Menschen’ verachten, – aber ich beneide sie nicht. Denn wenn irgend etwas imstande ist, aus einem Literaten einen Dichter zu machen, so ist es diese meine Bürgerliebe zum Menschlichen, Lebendigen und Gewöhnlichen. Alle Wärme, alle Güte, aller Humor kommt aus ihr, und fast will mir scheinen, als sei sie jene Liebe selbst, von der geschrieben steht, dass einer mit Menschen- und Engelszungen reden könnte und ohne sie doch nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle sei.
3 Was ich getan habe, ist nichts, nicht viel, so gut wie nichts. Ich werde Besseres machen, Lisaweta, – dies ist ein Versprechen. Während ich schreibe, rauscht das Meer zu mir herauf, und ich schließe die Augen. Ich schaue in eine ungeborene und schemenhafte Welt hinein, die geordnet und gebildet sein will, ich sehe in ein Gewimmel von Schatten menschlicher Gestalten, die mir winken, dass ich sie banne und erlöse: tragische und lächerliche und solche, die beides zugleich sind, – und diesen bin ich sehr zugetan. Aber meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen, Liebenswürdigen und Gewöhnlichen.
4 Schelten Sie diese Liebe nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit.»

Достарыңызбен бөлісу:
1   ...   22   23   24   25   26   27   28   29   30




©dereksiz.org 2024
әкімшілігінің қараңыз

    Басты бет